Niederlagen für Jeremy Corbyn und Bernie Sanders – Was nun?

Zwei Hoffnungsträger der sozialdemokratischen Erneuerung stehen vor dem vorläufigen aus. Jeremy Corbyn hat im Kontext des Brexits eine historische Parlamentswahl in England verloren und Bernie Sanders hat den zweiten Preis bei der Nominierung des US-Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei erhalten. In beiden Fällen kann man das nur als Rückschläge für diese Exponenten der institutionellen Linken bewerten. War diese Entwicklung also unvermeidbar und welche Lehren kann man daraus ziehen?

Niederlagen für Jeremy Corbyn und Bernie Sanders – Was nun?

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Zwei Hoffnungsträger der sozialdemokratischen Erneuerung stehen vor dem vorläufigen aus. Jeremy Corbyn hat im Kontext des Brexits eine historische Parlamentswahl in England verloren und Bernie Sanders hat den zweiten Preis bei der Nominierung des US-Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei erhalten. In beiden Fällen kann man das nur als Rückschläge für diese Exponenten der institutionellen Linken bewerten. War diese Entwicklung also unvermeidbar und welche Lehren kann man daraus ziehen?

 

Der Fall Jeremy Corbyn

 

Nach langen Jahren neoliberaler Chefs an der Spitze der Labour Party war die Wahl von Corbyn zum Parteivorsitzenden ein spektakulärer Durchbruch für die Linke in Großbritannien. Seine Prioritäten und Aussagen, weg von der Akzeptanz des Neoliberalismus, bestätigten den politischen Kurswechsel und beflügelten die kühnsten Hoffnungen. In den folgenden Monaten gewann Labour tausende neue und junge Mitglieder wodurch erneut sozialistische Forderungen und Lösungen zur Debatte kamen.

 

Allerdings wurde Corbin in der Folgezeit mit Problemen konfrontiert die so nicht im Fahrplan vorgesehen waren.

 

  • Das waren vor allem die tiefsitzende Ablehnung der E.U. als supranationales Staatsmodell in weiten Teilen der traditionellen Arbeiterklasse, in deren Augen die E.U. die Schuld am industriellen Niedergang Britanniens trug und ihren sozialen Abstieg zumindest nicht stoppen konnte. Dieses Potential wurde von der reaktionär/nationalistischen Rechten erschlossen.

 

  • Labour war in der Frage zur E.U. gespalten und Corbyn wollte dazu keine klare Antwort eines „linken Brexit“ entwickeln und durchsetzen. Dies hätte eine konsequente Weiterführung eines sozialistischen Programms und einer linken Kritik an der E.U. erfordert, denn ein „linker Brexit“ hätte tiefgreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen im Königreich unausweichlich gemacht. Corbyn setzte im Gegenteil eher auf Reformen in den Beziehungen zur E.U. die er der Arbeiterklasse nicht glaubhaft vermitteln konnte.

 

  • Im Rahmen seiner Kompromisslinie, ausgerichtet auf den Erhalt der Einheit der Labour Party, versäumte Corbyn es die Dynamik der Anfangsjahre auszunutzen um die damals minoritäre alte Generation der rechten Parteibürokraten aus Tony Blairs Zeiten abwählen zu lassen. Er versuchte sie einzubinden anstatt sie durch neue Linke zu ersetzen. Als Dank dafür erntete Corbyn dann die gegen ihn inszenierte „Antisemitismus Kampagne“ der Parteirechten!

 

  • In der Labour Hochburg Schottland wird die Arbeiterpartei nun vermehrt mit der nationalistisch/separatistischen SNP konfrontiert die den Unzufriedenen eine nationale Unabhängigkeit als gesellschaftliche Alternative anbietet. Eine klare internationalistische Herangehensweise in dieser Problematik wurde ebenfalls verpasst.

 

Fazit: Die gegenüber der E.U. und dem Brexit unklare politische Linie und die Vermeidung einer Polarisierungen – u.a. des bewussten Anfachens realer sozialer Kämpfe und Streiks – haben die Wahlniederlage des institutionell ausgerichteten linken Gentlemans Corbyn bewirkt. Ironie der Geschichte: Gerade viele englische Ur-Proletarier verstanden ihn darum nicht und verweigerten dem politisch linksten Labour Führer seit 100 Jahren im entscheidenden Moment ihre Wahlstimme.

 

Der Fall Bernie Sanders

 

Die institutionelle Politik in den USA besteht aus zwei bürgerlichen prokapitalistischen Parteien, wobei die Demokratische Partei sich seit jeher als Sprachrohr für die Anliegen der Verlierer des Systems versteht. Anfang des 20ten Jahrhunderts gelang es der Bourgeoisie aufgrund der imperialen Expansion und der ethnischen Spaltung der Arbeiterklasse das Aufkommen von Arbeitermassenparteien wie in Europa zu verhindern. Die Krise der US Gesellschaft überträgt sich auf das 2-Parteien-System. Dieser Hintergrund erklärt die spektakuläre Resonanz des Senators aus Vermont, Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez und der DAS (Democratic Socialists of America), die sich die Themen soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit auf ihre Fahnen geschrieben haben.

 

Obwohl die programmatischen Forderungen der DSA aus europäischer Sicht betrachtet sehr bescheiden und elementar anmuten (wie z.B. ein bezahlbares Universitätsstudium, allgemeine Gesundheitsversicherungen usw.), gelten sie in den USA als sozialistisch. Man kann es Sanders als eindeutigen Verdienst anrechnen, dass er dazu beitrug den Konsens der Verteuflung sozialer und sozialistischer Forderungen aufzubrechen.

 

Das ändert allerdings nichts an dem Problem, dass die D.P. weiterhin eine bürgerliche Partei bleibt die von Millionären beherrscht und geführt wird. Sie tolerieren bewusst einen sozialen Flügel in ihren Reihen um die Bildung einer autonomen Arbeiterpartei zu verhindern und sie brauchen die Stimmen der Arbeiterklasse um gegen die Rechte eine Chance zu haben.

 

Das US Wahlsystem ist als Majorz-System mit indirekten Wahlmännern in unterschiedlicher Zahl je nach Bundesstaat wohl eines der ungerechtesten der Welt. Nicht umsonst konnte Trump mit 3 Millionen Stimmen weniger als Clinton die Präsidentschaft gewinnen. All diese Hürden erschweren die Etablierung einer Arbeiterpartei gegen das 2-Parteien-System. Letztendlich darf der soziale Widerstand in den USA dieses strategische Ziel aber nicht aus den Augen verlieren. Ohne die Existenz einer eigenständigen Arbeiterpartei, zumindest in den wichtigsten Bundesstaaten, werden die sozialistischen Kandidaten in der D.P. immer den Kürzeren ziehen und ihre Interessen auf der Strecke bleiben. Das enorme Prestige, das die Linke nun gewonnen hat muss dazu genutzt werden ihre eigenständigen Forderungen zu artikulieren und sich weiter aufzubauen, in Erwartung eines unausweichlichen „Bruchs“ dessen Zeitpunkt noch nicht feststeht.

 

                                                                                                                                                                                                                                                                      Alain Sertic   09/04/20