Trump, Johnson, Bolsonaro und Corona

Eine Epidemie erschöpft sich, wenn 60 Prozent der Bevölkerung durch Ansteckung immunisiert sind. So heißt es in der allgemeinen Epidemienlehre. Bleibt zu sehen, ob diese allgemeine Lehre auch auf das Coronavirus zutrifft, denn es ist noch nicht bekannt, wie lange die Immunität der Geheilten anhält.

Trump, Johnson, Bolsonaro und Corona

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Eine Epidemie erschöpft sich, wenn 60 Prozent der Bevölkerung durch Ansteckung immunisiert sind. So heißt es in der allgemeinen Epidemienlehre. Bleibt zu sehen, ob diese allgemeine Lehre auch auf das Coronavirus zutrifft, denn es ist noch nicht bekannt, wie lange die Immunität der Geheilten anhält.

 

Bedenkt man, dass die meisten asiatischen und westeuropäischen Länder auf eine Abwehrstrategie gegen das Coronavirus setzen, die auf eine Begrenzung der sozialen Kontakte und unterschiedliche Grade von Ausgangssperren fußt, so stellt sich die Frage, was die Regierungen der USA, Großbritanniens und Brasiliens dazu bewegt (oder bewegte), hauptsächlich in Herdenimmunität zu vertrauen und Ausgangssperren nur selektiv in den „hotspots“ zu verhängen? Wie bekannt, hat Boris Johnson inzwischen eine Kehrtwende um 180 Grad verkündet.

 

Was sind nun eigentlich die Unterschiede zwischen diesen Abwehrstrategien? Die asiatische und westeuropäische Strategie der Selbstisolierung und Ausgangsbegrenzungen besteht darin, die Infektionskurve der Pandemie so abzurunden, dass sie zwar länger anhält, aber weniger Menschen auf einmal krank werden. Dies erlaubt es den Krankenhäusern und anderen medizinischen Institutionen nach und nach alle oder zumindest die am schwersten Erkrankten aufzunehmen. Dagegen setzt das Vertrauen in die Selbstheilkräfte der Herdenimmunität auf eine kurzfristig höhere aber zeitlich begrenztere Sterblichkeit und eine schnellere Rückkehr zur wirtschaftlichen Dynamik.

 

Die niederländische Regierung sah sich gar dazu gezwungen zu bestreiten, dass sie eine Strategie der Herdenimmunität verfolgt. Über die letzten Jahre wurde das holländische Gesundheitssystem dermaßen rationalisiert, dass es außerstande ist, größere Zahlen von schwer Erkrankten zu behandeln. In den USA wird Donald Trump nach jeder unqualifizierten Behauptung von den Experten widersprochen. Er und Jair Bolsonaro werden vielleicht das Glück haben, dass der Atlantik (sprich der weitgehend unterbrochene Verkehr darüber) die Wanderung der Viren etwas bremst. Die Zuwachszahlen der letzten Tage lassen aber auf eine andere, bedenkliche Entwicklung schließen. Ähnliche Strategien wie in den Niederlanden verfolgen auch Schweden und die Schweiz.

 

Liberalismus, Populismus, Sozialabbau, schlanker Staat, Privatisierung

  

Das sind die gemeinsamen Charakteristiken von Regimen wie jener Trumps und Bolsonaros und sie treffen auch weitgehend auf die Niederlande zu; selbst wenn Premier Rütte wenig von einem Populisten hat. Es gibt in den Niederlanden wenig Widerstand gegen Rüttes Strategie. Die Bewältigung eines riesigen Problems, das sich aus der Natur ergibt, wird auf eine politische, neoliberale Weise gelöst, wobei die Theorie der Herdenimmunität herhalten muss, um die Privatwirtschaft zu retten und die „Gesundschrumpfung“ der öffentlichen Gesundheitssysteme fortzusetzen. Dabei wird die Möglichkeit, dass es in kürzester Zeit zu einer Explosion der Infektionen und zu einem Massensterben kommt in Kauf genommen. Die Kehrtwende Boris Johnsons ist wohl darauf zurück zu führen, dass er eingesehen hat, dass ein Ausrutschen der Herdenimmunität in Richtung eines schnellen, unkontrollierten „peaks“, das Ende seiner politischen Karriere bedeuten könnte. Denn die Frage der Gesundheitspolitik (Stichwort NHS-National Health Service) ist seit Jahren Politikum und zentrales Streitobjekt im Vereinigten Königreich. In den USA gilt die Faustregel, dass ein während einer Rezession ausgehender Präsident nicht wiedergewählt wird…

 

Es bleibt die Frage zu klären, ob die Politik des „laissez-faire“ in der Coronakrise ausschließlich auf die schnöde wirtschaftsliberale Ausrichtung zurück zu führen ist.

 

Calvinistischer Rationalismus oder Priorität der Wirtschaft vor der Volksgesundheit

 

Es gibt wohl einen Zusammenhang zwischen der kulturell „calvinistischen“ Tradition und dem Wirtschaftsliberalismus, wobei der Calvinismus eine eurozentristische Vereinfachung und Zusammenfassung für vielfältige protestantische Strömungen wäre. Dass alte oder gebrechliche Menschen – die das Gesundheitssystem ohnehin viel Geld kosten – Opfer einer aus der Natur kommenden und ohne Fremdeinwirkung ablaufenden Infektionswelle werden, wird in verschiedenen Kulturkreisen geduldet, in anderen als inakzeptabel empfunden. Die Tatsache, dass in den Niederlanden die öffentliche Meinung bisher Premier Rütte nicht entgegentritt deutet darauf hin, dass der kulturelle Aspekt durchaus eine große Rolle spielt. Ob diese Tradition in der breiten Öffentlichkeit auch noch Bestand hat, wenn die Altenheime sich leeren und viele Familienmitglieder oder Bekannte mit dauerhaften Krankheiten („comorbitité“) sterben, ist eine andere Frage.

 

Dennoch ist die bestimmende Frage die der wirtschaftsliberalen Ausrichtung der politischen Mehrheiten. Trump verkündete am 24. März, er wolle, dass zu Ostern die Geschäfte alle wieder geöffnet seien und die Kirchen gefüllt. Zu Ostern wird der „peak“ der Epidemie in den USA erwartet! Laut Trump berge eine Rezession mehr gesundheitliche Gefahren als die Pandemie! Für ihn wie auch für seinen Freund Bolsonaro – beide lügen schneller als ihre Schatten – gilt, dass sie die Medienszene beherrschen und das fast rund um die Uhr. So ist es auch zu erklären, dass Trumps Beliebtheitswerte sprunghaft angestiegen sind…Nur er ist zu zu hören und sehen. Doch Beliebtheitswerte sind Schäume.

 

Rezession ohnehin

  

Die Rezession ist unabwendbar. Die Wirtschaft ist weltweit im freien Fall. Seit dem Höhepunkt der Börsenkurse der Wallstreet im Februar wurden 37% des Börsenkapitals vernichtet. Seit der Wahl Trumps sind nun 10.000 Milliarden $ verflogen! Riesenunternehmen wie Boeing sind praktisch pleite, wie in Europa auch steht der Einzelhandel still. Im Gegensatz zu Europa jedoch, wo es Entschädigungen für Teilzeitarbeit gibt, stehen amerikanische Arbeitslose ohne Krankenversicherung da. Die Staatskasse soll nun jedem Erwachsenen 1000$ zukommen lassen, sollte das ernst gemeint sein und die sanitäre Krise nur einen Monat dauern, was undenkbar ist.

 

Die Rezession ist nun aber keine rein amerikanische Gewissheit, sondern eine weltweite. Als Gegenreaktion werden alle disziplinierenden Maßnahmen, wie die 3% Mehrverschuldungsgrenze in der EU, außer Kraft gesetzt. Die FED macht wieder „quantative easing“, das heißt sie kauft den Banken Staatsanleihen ab, was dem Gelddrucken gleichkommt. Die angekündigten Wirtschaftsförderprogramme erreichen kolossale Ausmaßen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die beiden Modelle („bleif doheem“ oder Herdenimmunität) gar nicht so sehr.

 

Das Gelddrucken und die neue Staatsverschuldung (sogar im schwarze-Null-Land Deutschland) erinnern an Strategien der Nachkriegszeit. Premier Bettel spricht von einem Marshallplan für die luxemburgische Wirtschaft, doch kommt das Marshallgeld diesmal aus der eigenen Tasche. In der Tat betrifft die wirtschaftliche Krise diesmal nicht vor allem den Bankensektor, sondern alle Wirtschaftszweige: von den großen Industrieproduzenten, über die Transportindustrie bis zum kleinen Handel. Diese Rezession wird tiefgreifender sein als die von 2008. Die zu lesenden Prognosen betreffen vornehmlich das 2. Quartal 2020. Das ist witzlos. Die Frage, die sich stellt, ist nicht die nach einem Einbruch in Höhe von 20% für das zweite Quartal 2020, sondern nach einem nachhaltigen und anhaltenden Zusammenbruch des Bruttoinlandprodukts.

 

„Rien ne sera plus comme avant“ prophezeite Frankreichs Präsident Macron. Das wäre zu hoffen. Und doch laufen die Rettungsprogramme der Großen dieser Welt darauf hinaus, dass das liberale Wirtschaftssystem, die Globalisierung, die Zerstörung des Planeten und die immer größere Kluft zwischen arm und reich wie gehabt weiterbestehen sollen. Man muss den Satz Macrons mit anderem Inhalt auffüllen. Diese Krise ist so tief, dass ein weltweiter Paradigmenwechsel möglich sein könnte, falls die Vertreter einer anderen Welt ihre Stimme erheben. Im Moment ist die breite Öffentlichkeit darauf konzentriert Menschenleben zu retten. Danach wird es darum gehen, lebenswerte Menschenleben auf einem Planeten zu gestalten, der vom Virus der kapitalistischen Selbstzerstörung geheilt ist.

 

Frank Jost 25/03/2020