1

Covid-19 und seine Folgen – Symptom einer planetaren Gesellschaftskrise

Nach der Implosion der Finanzblase 2008 wurde der Zusammenbruch der Weltwirtschaft mittels massiver staatlicher Eingriffe verhindert. Die Mittel dazu waren eine riesige Refinanzierung der Banken mit öffentlichen Geldern, zeitweilige Verstaatlichungen, eine seit Jahren andauernde Niedrigzinspolitik die Kredite so billig machte wie noch nie und eben öffentliche Aufträge an die Wirtschaft. Trotz dieser Strategie des billigen Geldes und der Unterstützung des bankrotten Banksektors wackelt das weltweite Finanzsystem nun erneut in seinen Grundfesten.

Seit etwa 2 Jahren halten unabhängige Ökonomen eine erneute weltweite Wirtschaftskrise für unausweichlich. 2008 hatte das politische Establishment auf den Knien geschworen ab sofort alles anders und besser zu machen. Riesige obligatorische Kapitalreserven sollten zukünftig die Banken vor faulen Kreditgeschäften schützen, Risikokredite sollten strenger kontrolliert und reguliert werden, usw. Nachdem der erste Schock verflogen war und das Wachstum langsam wieder anlief verschwanden viele dieser Vorsätze in den Schubladen. Durch die Zugkraft der „chinesischen Lokomotive“ saß der Neoliberalismus schon zwei Jahre später wieder so fest im Sattel, dass er ungeniert TTIP und CETA in die Wege leiten konnte. Ein Jahrzehnt lang lief darum alles auf derselben Schiene weiter wie vorher: die Privatisierung öffentlicher Dienstleitungen ging ebenso unvermindert weiter wie Steuergeschenke an Banken und Konzerne. Mittels E.U. Fiskalpakt und Haushaltsdeckelung wurden in Südeuropa soziale Kürzungen erzwungen, die unter anderem durch die Corona Seuche jetzt für jedermann sichtbar werden. Das Covid-19 ist sicher nicht die Ursache für die kranke Weltwirtschaft, bestimmt aber der Auslöser für eine erneute Rezession von der noch niemand weiß wie stark ihre Erschütterung werden. Fest steht, dass das Problem nicht so einfach wieder mit einer Neuauflage der Rettungsschirme und -pakete von 2008 überbrückt werden kann.

Die Lektionen die man aus dieser Erfahrung ziehen kann sind eindeutig, sie lauten:

 

• Der Kapitalismus im heutigen Entwicklungsstadium ist ein weltumspannendes, totalitäres System, dem nur die Flucht nach vorne offensteht. Der Zwang zu Wachstum und Profit – letztendlich um jeden Preis – gehört zur DNA des Systems. Im 21ten Jahrhundert ist ein „progressiver Kapitalismus“, wie ihn der Ökonom Joseph Stiglitz als Alternative zum Neoliberalismus fordert, nicht mehr möglich und eine pure Illusion. In Anbetracht der globalen Klimakatastrophe und der immer explosiver werdenden Lage in den „Entwicklungsländern“ ist die Hoffnung auf eine Kurskorrektur oder auf einen Umbau des Systems in Eigenregie völlig naiv. Selbst ein freiwilliges Runterschrauben auf ein ″erträglicheres Niveau″ des Kapitalismus, so wie es vor 25 Jahren existierte, würde weltweit den Ruin oder zumindest die teilweise oder totale wirtschaftliche Entmachtung großer Teile der Bourgeoisie bedeuten, die dem niemals ohne Zwang zustimmen würde.

• Wer an diesem Zustand etwas ändern möchte muss konsequent die interne Logik und Wesensmerkmale des Systems auβer Kraft setzen. Das ist nur möglich wenn eine entschlossene Massenbewegung in einem bestimmten Moment – wenn der Faden reißt und große Teile der Bevölkerung nicht mehr gewillt sind die bestehenden Verhältnisse hinzunehmen (wie derzeit z.B. Chile, Libanon …) – anfängt sich aktiv in die Politik einzumischen und das Heft in die Hand nimmt. Dieser Prozess muss allerdings vorrangig in den wichtigsten westlichen Industriestaaten einsetzen.

 

• Die Erfahrung seit den 1980er Jahren lehrt, dass wir uns weltweit immer weiter vom Projekt eines sozialen und umweltverträglichen Kapitalismus entfernen. Warum ist das so? Eben weil unser Planet und seine Ressourcen begrenzt sind und die wachsende Masse an Geld (Kapital) immer mehr „Natur“ aber auch „soziale Errungenschaften“ zerstören muss um weiter wie bisher funktionieren zu können. Vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Klimakatastrophe ist diese Pandemie eine weitere ungeheure Aufforderung an die politische Linke den Kampf gegen den Kapitalismus zu intensivieren. Sie muss ihre weltweite Massenmobilisation gegen die sozialen Folgen dieser Katastrophen verstärken. Neoliberalismus, Klimakrisen und Epidemien kennen keine Grenzen, wir sollten uns auch an keine mehr halten.

 

Alain Sertic

25/03/2020