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Was will das neue Fach “Leben und Gesellschaft” ersetzen?

Am Montag diskutiert Erziehungsminister Claude Meisch mit Monique Adam, Grundschullehrerin und Präsidentin der FGIL, Dan Luciani, Lehrer der Formation Morale et Sociale und Christian Meyers, Erziehungswissenschaftler an der UNI Luxemburg (Moderation: André Hoffmann) über das neue Fach « Leben und Gesellschaft » (weitere Infos zu dieser Veranstaltung- siehe unten). Doch was beinhalten die bisherigen Lehrpläne von EMS (Éducation Morale et Sociale école fondamentale) und FMS (Formation Morale et Sociale – enseignement secondaire), die durch das neue Fach ersetzt werden sollen? – Im Vorfeld der Debatten, ein Beitrag von Rita Jeanty …

Seit 2008 sind beide Lehrpläne aufeinander abgestimmt: Zielsetzung, Inhalte, Didaktik, Unterrichtsmaterialien sowie die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte für die bisherigen “morale et sociale” Fächer basieren auf dem wissenschaftlich erforschten und in der Praxis bewährten Prinzip des Philosophierens mit Kindern und Jugendlichen.

Was bedeutet hier “Philosophieren”? Sicher nicht das rein rationale Bohren in alten Schriften oder Wiederkauen von vorgegebenen Textinterpretationen, Aufträge, die leider bis heute den Philosophieunterricht in den oberen Gymnasialklassen für diskussionsfreudige Schüler und Schülerinnen vielfach unattraktiv machen. “Philosophiert” wird in EMS/FMS in sogenannten “ateliers à visées philosophique et démocratique” (M.Tozzi) oder kleinen “Forschungsgemeinschaften” (M.Lipman) nach eingespielten und von allen Teilnehmern akzeptierten Diskussionsregeln. (J.Habermas, Diskursethik)

Die jetzigen EMS/FMS Lehrpläne

EMS/FMS orientiert sich an den Menschenrechten und den Grundwerten eines demokratischen Rechtsstaates. Es wird weltanschaulich und religiös neutral unterrichtet. Mit der innovativen Unterrichtspraxis des Philosophierens mit Kindern und Jugendlichen setzen sich diese gemeinsam mit unterschiedlichen Wert- und Sinnangeboten für das individuelle Leben auseinander. Durch das Entdecken von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Denken, Glauben und Handeln werden Vorurteile hinterfragt und eine Haltung der Offenheit und Nachdenklichkeit gefördert. Dabei entwickeln die Schülerinnen und Schüler personale, reflexive und soziale Kompetenzen, eine Dialog- und Urteilsfähigkeit, die auch in anderen Fächern, also transversal, eingesetzt werden können. Die im Laufe der Jahre erworbenen Kenntnisse verschiedener Weltanschauungen und Religionen ermöglichen ein Verständnis europäischer und internationaler Kulturgeschichte.

Was geschieht in einer strukturierten und nach didaktischen Prinzipien aufgebauten EMS-Stunde in der Grundschule, z.Bsp. zum Thema “Freundschaft” oder “Glück” oder “Tod”?

Das Thema wird in 4 Schritten, bzw. mit 4 philosophischen Arbeitsmethoden (nach E.Martens) angegangen:

1. Was nehme ich konkret, aufmerksam, mit meinen 5 Sinnen wahr? Wie erlebe ich das? Beschreiben, was es gibt, was vorkommt. (Phänomenologisches Denken)

2. Wie kann ich das Wahrgenommene verstehen, begreifen, interpretieren? Mein Nachbar ist anderer Meinung als ich. Was bedeutet mir meine Meinung, was bedeutet ihm meine Meinung? (Hermeneutisches Denken)

3. Begriffe und Argumente klären, Auseinandersetzungen führen, gemeinsam nachdenken um grosse Fragen zu beantworten, die Antworten begründen (Analytisch-dialogisches Denken)

4. Kreative Gedankenexperimente machen (was wäre, wenn …?), Perspektivwechsel, Horizonterweiterung. (Spekulatives Denken)

Obwohl das Philosophieren mit Kindern von konkreten Erfahrungen aus ihrem Lebensbereich ausgeht, so haben wir es hier nicht mit einem “lifeskill”– und schon gar nicht mit einem moralpädagogischen Modell zu tun. Didaktisch ist es ein Nachdenklichkeitsmodell basierend auf dem Prinzip von Michel Tozzi: “problématiser, conceptualiser, argumenter”.

Was geschieht in einer strukturierten und nach didaktischen Prinzipien aufgebauten FMS-Stunde im enseignement secondaire?

Die Themen werden aus drei didaktischen Perspektiven behandelt:

1. Die personale Perspektive greift Alltagserfahrungen, existenzielle Grunderfahrungen und Lebenssituationen von Schülerinnen und Schülern auf.

2. Die gesellschaftliche Perspektive ermöglicht es, gesellschaftliche Wertvorstellungen und Wertkonflikte sichtbar zu machen.

3. Die Ideen-Perspektive macht Fragen und Antworten der Ideengeschichte, vor allem der Philosophie und der grossen Religionen, aber auch aktuelle Denkansätze für die Beantwortung von Fragen der Schülerinnen und Schüler fruchtbar.

Die Themen stammen aus sieben zentralen Fragenkreisen:

1. Die Frage nach dem Selbst
2. Die Frage nach dem Anderen
3. Die Frage nach dem guten Handeln
4. Die Frage nach recht, Staat und Wirtschaft
5. Die Frage nach Natur, Kultur und Technik
6. Die Frage nach Wahrheit, Wirklichkeit und Medien
7. Die Frage nach Ursprung, Zukunft und Sinn

In der Auseinandersetzung mit der Thematik der 7 Fragenkreise erwerben Schülerinnen und Schüler Kentnisse in der Leitwissenschaft Philosophie und den Bezugswissenschaften Religionswissenschaft, Psychologie und Soziologie. Dabei werden religionswissenschaftliche Grundkenntnisse über die grossen Religionen erworben unter besonderer Berücksichtigung ihrer Wertekategorien und des daraus resultierenden Menschenbildes.

Im Laufe der Jahre gewinnen Kinder und Jugendliche vierfache fächerübergreifende Kompetenzen:

1. Die personale Kompetenz befähigt Schülerinnen und Schüler, ihre eigene Rolle in bestimmten Lebenssituationen zu erkennen und eine Persönlichkeit mit reflektierter Wertbindung zu entwickeln.

2. Die soziale Kompetenz befähigt sie, respektvoll und kritisch mit anderen Mneschen und deren Überzeugungen und Lebensweisen umzugehen und soziale Verantwortung zu übernehmen.

3. Die Sachkompetenz befähigt sie, Themen aus den Fragenkreisen zu verstehen und selbstständig und begründet zu beurteilen.

4. Die Methodenkompetenz befähigt sie, bestimmte Arbeitstechniken anzuwenden, z.Bsp. Texte und andere Medien erschliessen, argumentieren, Kritik üben, gedankliche Kreativität entwickeln, philosophische Gespräche führen.

Schlussfolgerung

Der didaktisch-rote Faden von der Grundschule bis zum Abschluss der Sekundarschule dürfte deutlich sein. Ebenso die Behandlung von Religionen und Weltanschauungen.  Der Themen- und Kompetenzkatalog sowie die Fortbildungsmodule wurden von international anerkannten Fachexperten erstellt. Im Hinblick auf ein absehbares einheitliches Ethik-Fach stand von 2001-2014 für das beschriebene Modell ein grosszügiges Budget zur Verfügung.

Was bewegt die jetzige Regierung zu der Aussage: “Wir können weder das Modell “Religionsunterricht” noch das Modell “Philosophieren mit Kindern” übernehmen, es muss eine dritte Variante her? » Woraus besteht dieses “tertium”? Jedenfalls scheint es eine Schwergeburt zu werden. Dabei wurde von zwei vorhergehenden Unterrichtsministerien gute, voraussehende Hebammenarbeit geleistet. Es gibt nun aber Erzeuger, die eine Hausgeburt im Alleingang bevorzugen. Auf Kosten des Steuerzahlers!

Rita Jeanty

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Welche Inhalte für den « Werteunterricht »? – Rundtischgespräch mit Claude Meisch

Erziehungsminister Claude Meisch diskutiert am Montag, den 11. Mai um 19.00 Uhr im Hôtel Parc Belle-Vue, auf Einladung von déi Lénk,  mit Monique Adam, Grundschullehrerin und Präsidentin der FGIL, Dan Luciani, Lehrer der Formation Morale et Sociale und Christian Meyers, Erziehungswissenschaftler an der UNI Luxemburg  über das neue Fach « Leben und Gesellschaft ». Die Moderation übernimmt André Hoffmann.

Weitere Infos zu dieser Veranstaltung gibt es hier …