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Differdingen: Zwischen Arroganz und Obsession

 

Die Differdinger DP-déi Gréng Koalition ist nicht aus politischen Gründen gescheitert, sondern an fehlenden zwischenmenschlichen Qualitäten sowie der unbewussten Vermischung von persönlichen und politischen Ambitionen. Die Neurose einer Familie (mindestens von drei Mitgliedern) ist sowohl verantwortlich für den Aufstieg wie jetzt für den Abstieg der Differdinger DP.

Letzter Beweis dafür hat Fränz Meisch am 31. Januar anläßlich der Eröffnung des neuen Differdinger Kulturzentrums geliefert. Als Gemeindebediensteter nutzte er diese Rede, um mit so manchem politisch abzurechnen und gleichzeitig die Kernbotschaften der Meisch-Vision des Strukturwandels von Differdingen zu kommunizieren. Er war der letzte der sogenannten Meisch-Dynastie, der legitimiert war, an dem Abend eine Rede zu halten, also hat er auch ohne politisches Mandat Politik betrieben.

Wenn die Familie sich einm(e)ischt…

Mit Aussagen wie „es hat lange Jahre, von 2007 bis heute gebraucht, um Differdingen auf die politische Landkarte zu bekommen“ und „mit dem ‚Aalt Stadhaus‘ und dem vor einer Woche eröffneten Aquasud, hat Differdingen jetzt endlich das was es verdient – und damit meine ich nicht die Politik!“, um dann seinen Bruder und Minister direkt noch auf ein wichtiges Puzzlestück des von der Meisch-Familie erwünschten Strukturwandels persönlich anzusprechen „es fehlt nur noch das Lyzeum, nicht wahr Herr Minister“.

Wie kann es dazu kommen, dass ein Chef eines Gemeindedienstes anläßlich der Eröffnung eines 15 Millionen teuren Kulturzentrums (3,5 Millionen mehr als geplant) seinen Schöffenrat als unwürdig für die Stadt erklärt? Wie kam es dazu, dass Jean Lorgé (DP) kurz vor Abschluss von zwei Großprojekten demissioniert und dabei den ganzen Schöffenrat, sich selbst inklusive, scharf kritisiert? Wie kam es dazu, dass Michel Braquet, nach seinem Wechsel von der LSAP zur DP, den Schöffenrat nicht wählt und auch demissioniert?

Claude Meisch und die Wüste

Wie kam es dazu, dass hinter Claude Meisch gähnende Leere herrschte? Das alles müssen sich Marcel, Fränz und Claude Meisch wohl selbst zuschreiben, oder besser, ihrer Arroganz und Obsession, welche den einen oder anderen von Ihnen in so manchen Situationen einfach blind gemacht haben. Die rezenten Reden, wie die Gemeinderatsantrittsrede von Marcel Meisch oder die erwähnte Eröffnungsrede von Fränz Meisch, aber auch so manche Leitartikel von Letzterem und von seinem Bruder Claude Meisch offenbaren nach einer Analyse: Diese Familie hat sich der Arbeit, vor allem für den Strukturwandel von Differdingen, verschrieben und dies auf eine solch obsessive Art und Weise, dass Kritiken, abweichende Meinungen und vor allem Handlungen, nicht erlaubt waren und diesen mit Drohungen und Erpressungen begegnet wurde.

Zu einer solchen Erpressung kam es, als der heutige Erziehungsminister Claude Meisch den damaligen DP-Gemeinderat Braquet im Gemeinderat rhetorisch-drohend fragte: „…und was kostet das Stolpersteine Projekt?“ Braquet hatte zuvor angekündigt gegen die Konvention mit der Harmonie Municipale Differdange, einem seit Jahrzehnten von der Meisch-Familie maßgeblich geführten Verein, zu stimmen. Das Stolpersteine-Projekt liegt Braquet sehr am Herzen und ist von ihm initiiert worden, die mitschwingende Drohung lautete: „Stimmst du die Konvention nicht, werde ich das Stolpersteine Projekt nicht finanzieren“. Der Gang der DP in die Opposition war nicht das erste Symptom dieser Familienneurose (und mangelnder Courage von aktuellen Differdinger DP Mitgliedern): Zahlreich sind in den letzten 12 Jahren die DP-AbzüglerInnen in Differdingen und bei den letzten zwei Wahlgänge hat Claude Meisch immer mehr Stimmen eingebüßt.

Wie Du mir, so ich Dir

Das traurige an diesem ganzen Theater (Claude Meisch selbst hat während einer Gemeinderatssitzung vorgeschlagen, die Sitzungen auf die Bühne des Kulturzentrums zu verlegen) ist, dass es die wirkliche politische Debatte verhindert, denn alle beschäftigen sich mit der Besetzung der Rollen statt mit dem Drehbuch. Der sogenannte Differdinger Strukturwandel wird nicht diskutiert. Er erfährt jetzt mit der neuen Koalition einige Kursänderungen aber mit Traversini als Bürgermeister „geht Differdingen nicht zurück“, denn er kündigt Kontinuität an. Aber wohin geht Differdingen? Die ehemaligen Partner behaupten noch heute die gleiche Vision von Differdingen zu haben. Welcher Strukturwandel soll das sein und vor allem „wie?“ soll er bewerkstelligt werden? Was verbirgt sich hinter dieser Mantra der letzten 12 Jahre in Differdingen?

Das Politiklexikon von Schubert und Klaus/Martina Klein definiert Strukturwandel wie folgt:

„Allg.: S. bezeichnet eingetretene Veränderungen oder angestrebte Anpassungen, die nicht nur äußerlich sichtbar sind oder in Details umgesetzt werden, sondern grundsätzlicher Natur sind, d. h. völlig neue Beziehungen (zwischen den einzelnen Elementen) herstellen oder eine völlig neue Ordnung verlangen. 
Spez.: Der Begriff wird vorwiegend im wirtschaftlichen Sinne verwendet und bedeutet hier, dass sich a) die bisherigen Beziehungen innerhalb der einzelnen Wirtschaftsbranchen (sektoraler S.) bzw. innerhalb einzelner Regionen (regionaler S.) drastisch ändern oder b) dass sich das Verhältnis zwischen eingesetztem Kapital (Maschinen, Automaten, Robotern) und notwendiger menschlicher Arbeitskraft drastisch ändert.“

Der zweite inflationär benutzte Begriff in Differdingen ist: soziale Mixität. Meist ist damit gemeint, in arme Viertel besser Verdienende anzusiedeln, aber nie andersherum. Es stinkt nach Gentrifizierung, es stinkt nach dem Motto: „Arme und Kleinverdiener raus, Türen groß auf für die Mittelschicht“. Es gilt über diese Vision zu diskutieren und nicht über auswechselbare politische Konstellationen. Vor allem muss es das Ziel emanzipatorischer Politik sein möglichst viele BürgerInnen zu Akteuren in diesem gesellschaftlichen Prozess zu machen und nicht über die essentiellen Bestandteile der Gesellschaft, den Menschen, hinweg Strukturen im Turbo zu verändern.