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Antifa im Aufbruch

 

 

Die Auflösung der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) knapp ein halbes Jahr nach dem „Antifa in der Krise“ Kongress lässt aufhorchen. Das jahrelange Mantra des „Antifa heißt Angriff“ wird in Frage gestellt. Trotz der Erfolge gegen den größten Naziaufmarsch Europas, dem öffentlichen Aufsehen durch den NSU-Prozess und steigendes Engagement gegen die Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte bleiben viele Fragen offen. Die Antifa widerlegt somit ihre Unbelehrbarkeit und setzt ein Zeichen an dem sich andere linken Gruppen ein Beispiel nehmen können.

Opfer ihres eigenen Erfolgs

Die Entwicklung der Proteste gegen den größten Naziaufmarsch Europas der jedes Jahr im Februar stattfand ist symptomatisch für die Entwicklung antifaschistischen Protestes. Spätestens mit dem erstmaligen Erfolg der Blockaden im Jahr 2010 entwickelte sich das Bündnis von einer regionalen zu einer bundesweiten Struktur der es nebst der Mobilisierung in andere Länder auch gelungen ist Brücken bis ins bürgerliche Spektrum zu schlagen.

Immer mehr Menschen beteiligten sich an den Blockaden, immer weniger Rechtsextreme nahmen am Aufmarsch teil, die Kritik am städtischen Gedenken an die Bombardierung Dresdens stieg und immer stärker wuchs die Unterstützung des radikalen Handelns auch durch Kirchen, Parteien und Gewerkschaften. Im Jahr 2014 wurden somit sogleich zwei Kapitel beendet und mit der Absage der Nazis weiter in Dresden demonstrieren zu wollen löst sich auch ein der zusammengeschlossene bundesweite Widerstand auf.

Der Fokus wandte sich und zeigt auf die Vielfalt von antifaschistischer Arbeit hin. Der Prozess gegen die NSU Attentäter und ihr Unterstützernetzwerk wird immer mehr zu einer öffentlichen Abrechnung mit dem Schulterschluss zwischen „Mob und Elite“. Es ist mittlerweile Konsens, dass sich die Mordserie kaum ohne staatliche Mittäterschaft, mindestens aber ohne ihr Wissen, hätte entwickeln können. Die Fortsetzung dieses Schulterschlusses scheint somit vorerst undenkbar zu sein und politisch ungewollt.

Zwar wird immer noch antifaschistischer Protest kriminalisiert und diffamiert, die Extremismus- Klausel ist hier nur ein Beispiel, doch die Expertise und Methoden linksradikaler Gruppen verschieben sich und sind längst anschlussfähig geworden. Distanzierungen wie nach den Protesten in Heiligendamm scheinen gegenwärtig undenkbar und regionale Bündnisse wie bei der Unterstützung und des Schutzes von Flüchtlingsheimen gegen rechten Protest bestätigen die Arbeit der letzten Jahre. Die Auflösung einer der größten und aktivsten Antifagruppen scheint somit irgendwie logisch, dennoch lohnt sich ein genauerer Blick auf ihre Beweggründe.

Keine Antworten auf neue Herausforderungen

Zuerst sollten die letztjährigen Erfolge nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Arbeit oft an den Händen einiger Weniger hängen blieb. Das Netzwerk vernetzte sich zwar besser, vergrößerte sich jedoch nicht verhältnismäßig zu den neuen Herausforderungen. Der aufgestaute Unmut, die jahrelang schwelenden Theoriediskussionen und die Ratlosigkeit vor aktuellen brisanten Fragen durchbrachen den befriedenden Konsens über die Methode und stellten diese letztlich in Frage.

So ist die Situation der Angriffe auf Asylbewerberheime zwar nicht zu vergleichen mit jenen der 90er Jahre aber dennoch alarmierend. Der Kampf gegen die NPD, so erfolgreich er ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass neue Bündnisse am rechten Rand auftauchen, so beispielsweise Allianzen zwischen rechtsextremen Hooligans und Kameradschaften die versuchen im Kampf gegen Islamismus gesellschaftliche Anschlussfähigkeit zu finden. Das starke Abschneiden der AfD bei den Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sollte ein weiteres Alarmzeichen sein.

Islamophobie und Antisemitismus wie sie die Friedrich-Ebert Stiftung jedes Jahr einem Großteil der deutschen Bevölkerung attestiert äußert sich somit erstmals in Deutschland wieder in konkreten Wahlerfolgen und verbindet sich mit Euroskeptizismus. Die Gentrifizierung weiter Teile der Bundesrepublik ist in vollem Gange, Widerstand dagegen artikuliert sich. Er zeigt jedoch auch seine Ohnmacht.

Europaweit sieht die Situation noch dramatischer aus. Knapp ein Drittel der etwa 400 TeilnehmerInnen am Kongress in Berlin kamen aus dem Ausland, aus Frankreich, Ungarn, Polen oder Griechenland. Aus Ländern also wo die radikale Rechte Machtoptionen hat, an der Regierung beteiligt ist oder weite Teile des öffentlichen Lebens bestimmt. Die Hoffnung der radikalen Linken hingegen sich auf SYRIZA zu verlassen scheint im Vergleich hierzu wie dem Festhalten am letzten Faden des Glücks.

Fakt ist, vielerorts wurden Felder nicht besetzt, zu spät erkannt und Energie verbrannt. Die Diskussion über die „Farbe der Regenjacke“, wie es im Auflösungsschreiben der ALB heißt, illustriert ein Problem der gesamten Linken. Es wurde sich viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und andere Aufgaben vernachlässigt. So heißt Antifa Arbeit beispielweise auch Theorie Arbeit und dieses Versäumnis kann nicht mehr geleugnet werden.

Bitte gehen sie zurück auf START!

Wer in Krisenzeiten keine Antwort auf die Fragen breiter Teile der Bevölkerung geben kann muss sich selbst an der Nase fassen. Entschuldigungen die letzten Jahre mit anderen wichtigen Themen verbracht zu haben mögen nachvollziehbar sein. Der konkrete Widerstand auf der Straße, im Kiez, die Mitarbeit am Aufbau parteipolitischer Alternativen ist wichtig, ja sogar immanent schafft er nicht nur Emotionsräume sondern auch Experimentierfelder.

Die Aktion hat vielerorts Gewalträume zurückgedrängt, den rechtes Gedankengut jedoch nicht. Denn wenn es an einem gesamtgesellschaftlichen Gegenentwurf fehlt, dann brauch es nicht zu wundern, wenn Menschen ihren Unmut dort äußern wo einfache Antworten gegeben werden.

Die Umbenennung der Antifa Frankfurt zu „Theorie und Praxis“ ist ein erster Schritt und die Proteste gegen den Umzug der EZB vom 20- 23. November in Frankfurt am Main kommen somit mehr als gelegen. Die Ankündigung des internationalen Organisationsteams inhaltliche Diskussionen „zur Entwicklung in Europa und Alternativen zur herrschenden Politik (…) die in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen sind“ nachzuholen klingen vielversprechend.

Somit könnte gerade das wahr werden, was vor ein paar Jahren den meisten Linken noch undenkbar erschien: ein Lernprozess des antifaschistischen Blocks und die Vorbildrolle für andere Zusammenschlüsse.